Der Naturzustand, diese soziale Ordnung vor der politischen Ordnung, sei friedlich und harmonisch, da die Menschen selbstbestimmt gleichzeitig persönlich unabhängig und in Gesellschaft leben. Ungleichheit, Machtunterschiede oder gar Unterdrückung seien so ausgeschlossen. Da das Eigentum, und damit die Souveränität, jedoch ein Recht ist, das der gegenseitigen Anerkennung bedarf, ist der Einzelne auf die Gesellschaft angewiesen. Gleichheit entsteht für ihn schlicht aus der Tatsache, daß die Menschen zur gleichen ‚Spezie‘ gehören. Die Verteilung des materiellen Besitzes hat damit nichts zu tun. Hinter diesen Worten erahnt man das Bild eines ursprünglich selbst-bewußten und selbst-zufriedenen Menschen, der selbst-genügsam in freundlichem Austausch mit Anderen lebt und nicht auf die Idee kommt, sich mit einem anderen Menschen zu vergleichen – also eine Wertigkeit in das soziale Leben einzuführen. Denn so kann er schreiben: „Die Menschen bilden also eine natürliche Gesellschaft, die auf ihrer Unabhängigkeit beruht; aber alle zusammen bilden eine Körperschaft oder eine politische Macht gegen die Eroberung. Der soziale Zustand ist das Verhältnis der Menschen untereinander, der politische Zustand ist das Verhältnis eines Volkes zu einem anderen. Man erkennt, daß die Menschen, die einander als Feinde behandeln, gegen ihre soziale Unabhängigkeit die Gewalt gewendet haben, die allein ihrer externen oder kollektiven Unabhängigkeit zugehört, daß diese Gewalt durch den Gesellschaftsvertrag komplex und zu einer Waffe eines Teils des Volkes zur Unterdrückung des ganzen Volkes geworden ist, während sie gleichzeitig eine Waffe zum Widerstand gegen Eroberung ist.“ Immer drastischer werdend schreibt er, wenn das Ziel eines Gesellschaftsvertrages die Erhaltung der Gemeinschaft sei, dann wären die Menschen wilde Tiere, die man bändigen müsse und die Sicherheit aller sei nur durch die Zersetzung des Einzelnen zu gewährleisten – und nicht durch seine Unabhängigkeit. Das Prinzip der Selbsterhaltung ist in Richtung ‚außerhalb der Gesellschaft‘ gerichtet. Es gehört zum Recht der Völker, nicht des Einzelnen. Eine Gesellschaft, als ‚Körper‘, habe zwar auch eine Unabhängigkeit innerhalb der Menschheit, aber diese sei nicht mehr moralischer Natur, da das Beziehungsgeflecht, daß zwischen Einzelnen besteht, nicht zwischen Völkern bestehen könne. Da man aber das soziale Recht und das politische Recht verwechselt habe, seien Vereinigungen entstanden und keine Gesellschaften und er führt das Beispiel von Piratenbanden an, die auch irgendwie einen Pakt schlössen. Damit setzt Saint-Just sich in scharfen Gegensatz zu Rousseau und greift diesen auch direkt an. Rousseau, der die Menschen ursprünglich vereinzelt lebend sieht, braucht den Gesellschaftsvertrag um die verlorene natürliche Freiheit durch einen Pakt, der bürgerliche Freiheit sichert, wiederzugewinnen. Saint-Just, der in „L’ésprit des lois…“ noch Rousseau gefolgt war fragt nun, warum eine natürlich zusammenlebende Gesellschaft eines Vertrages bedürfe, der doch immer eine Unterwerfung zum Ziel habe und er wirft Rousseau vor, die von ihm erträumte unabhängige Gesellschaft sei mit seiner starken Regierung nicht zu vereinbaren. Saint-Just will also eigentlich die Notwendigkeit von Gesetzen innerhalb einer Gesellschaft gar nicht anerkennen. Er glaubt daran, daß der Mensch eigentlich gut ist und mit Seinesgleichen entsprechend dem in seiner Seele verankerten ’sozialen Recht‘ in Frieden leben kann, ohne daß vorher Regeln abgestimmt werden. Gesetze, das ‚politische Recht‘, braucht man erst, wenn Gesellschaften einander begegnen. Abensour folgert daraus, daß Saint-Just sich gegen die Politik selbst richte, da diese die spontane Kreativität des ’sozialen‘ Zustands ignoriere und „gewaltsame Bindungen“ anstelle von „natürlichen Bindungen“ schaffe. Hier kann man sich fragen, ob Saint-Just Anarchist sei, und er versucht selbst eine Antwort auf diese Frage:
- entstehe Anarchie aus einer Verwirrung und einem Mißbrauch von Macht, aber da, wo keine Macht bestehe, könne auch keine mißbraucht werden und
- entstehe Anarchie aus Angst um die Freiheit, aber dort, wo man unabhängig und souverän ist, brauche man sich um die Freiheit nicht zu fürchten.
Trotzdem führt dieses Konzept einer Gesellschaft, die sich selbst genügt, und für die die Macht tödlich ist, zu erheblichen Problemen. Wie soll man hier eine öffentliche Verwaltung einfügen, wie soll Regierung, wie Gewaltenteilung geschaffen werden, wenn alle gleich sind? Abensour folgert aus der strikten Begrenzung der Regierungsgewalt auf die Verteidigung nach außen, daß es sich wohl eher um einen, für den Augenblick bestimmten militärischen Führer handele und Jörg Monar sieht für das Dilemma nur diesen Ausweg: Die politische Führung darf weder in der eigenen Einschätzung, noch in der des Volkes, jemals aus der sozialen Gemeinschaft heraustreten, geschweige denn sich darüber erheben. Diesen, zweifellos hohen Anspruch, findet man in Saint-Justs politischen Forderungen während der Konventszeit wieder. Es sei an dieser Stelle nur die starke Betonung der Rechenschaftspflicht der Volksvertreter gegenüber ihren Wählern in seinem Verfassungsentwurf erwähnt, sowie Saint-Justs fortwährende Angriffe gegen die Selbstgefälligkeit der Beamten.